Transkript: Ringstraßen Walk
0 Intro
Servus – und willkommen auf Wiens Prachtboulevard, dem beeindruckendsten städtebaulichen Projekt des 19. Jahrhunderts. Die Ringstraße hat Wien zu Recht zur Weltstadt gemacht hat – hier wandelst du auf den Spuren von Größen wie Gustav Mahler, Sigmund Freud, aber auch Michael Jackson, Grace Jones und Wes Anderson. Wenn du möchtest, tauchen wir gemeinsam in die Geschichte ein. Ich erzähle dir von Tragödien und Skandalen – aber auch von Erfolgen und großem kreativen Schaffen. Ich führe dich zu den bedeutendsten Kunst- und Design-Hotspots der Stadt und verrate dir, warum der Ring nicht rund ist.
Und: Ich mache dich mit einem Wien vertraut, das vielleicht weniger bekannt ist. Zwischen Museen, Kaffeehäusern, Monumentalbauten, Parks, Universitäten und Regierungsgebäuden lernst du die popkulturelle, zeitgeistige und die queere Seite der Ringstraße kennen. Zu jedem Ort, den wir ansteuern hat ivie ein Audio-Kapitel für dich. Los geht‘s.
1 Postsparkasse
Das visionärste Gebäude, das jemals an der Ringstraße gebaut wurde? Du stehst direkt davor. Doch starten wir mit einem kleinen Spiel: Blickst du direkt auf die Fassade der Postsparkasse? Gut. Dann dreh dich einmal um 180 Grad. Jetzt siehst du einen Klotz von einem Gebäude, der von einem riesigen Doppeladler bekrönt wird. Das ist das ehemalige Kriegsministerium. Was denkst du – welches Gebäude ist älter? Das altertümlich anmutende Kriegsministerium oder die Postsparkasse? Ich gebe zu, das war eine Fangfrage: Denn die viel moderner wirkende Postsparkasse entstand tatsächlich etliche Jahre früher. Nämlich 1906. Sehr visionär, nicht wahr?
Deshalb gilt ihr Architekt Otto Wagner als einer der ersten Architekten der Moderne. Ein Name, der dir in Wien immer wieder begegnet. Schließlich hat er das moderne Stadtbild Wiens geprägt wie kein anderer. Otto Wagner hatte es aber nicht nur aus gestalterischer Sicht drauf. Er war auch in Sachen Technik und Materialien seiner Zeit immer voraus. Das zeigt sich in der Verwendung des damals vollkommen neuen Werkstoffs Aluminium. Etwa für die hochmoderne Belüftungsanlage der Postsparkasse, deren Rohre zu Ikonen des modernen Designs wurden. Und Wagner nutzte als einer der ersten Architekten die Stahlbeton-Bauweise. Sein genereller Ansatz? Architektur muss den Menschen dienen – schön ist, was funktional ist.
Trotzdem, oder gerade deshalb, liebte Otto Wagner es, mit Details zu spielen: Das erkennst du zum Beispiel an der Fassade mit ihren Marmorplatten und aluminiumverkleideten Eisenbolzen. Ihre Funktion? Eine wichtige symbolische Botschaft nach außen zu tragen: Durch sie erinnert das Gebäude an eine Schatztruhe oder einen Tresor – was, wie du dir schon denken kannst, symbolisieren soll, dass das Geld im Inneren sicher ist.
Heute geht es in der Postsparkasse nicht mehr um Geld. Das Gebäude dient als Wissenschaftscampus der Universität für angewandte Kunst, der Johannes Kepler Universität Linz und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der stets nach vorne gerichtete Otto Wagner hätte damit seine helle Freude gehabt.
Wenn du noch kurz Zeit und Lust hast, zeig ich dir einen besonderen Ort, gleich hinter dem Kriegsministerium. Gehst du einmal um dieses herum, kommst du zum berühmten Zollamtssteg. Eine Fußgängerbrücke, die den Wienfluss quert und auf der in den 1990ern schon Ethan Hawke und Julie Delpy in Richard Linklaters Filmklassiker „Before Sunrise“ standen – neben „Der dritte Mann“ einer der berühmtesten Wien-Filme überhaupt. Und direkt unter dem Zollamtssteg verläuft die Zollamtsbrücke, die – wie alle Stadtbahnbauten in Wien – natürlich von Otto Wagner stammt. Die Filmszene auf dem Zollamtssteg ist der Auftakt zu einem magischen Spaziergang durch Wien. Was Ethan Hawke zu Julie Delpy dort sagt? „We’re in Vienna. Let’s go to some places.“ Ich finde, das ist das perfekte Motto für unseren Spaziergang entlang der Ringstraße!
2 MAK
„Ich bin keine Küche!“. Das ist einer ihrer berühmtesten Sprüche. Von wem ich rede? Von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, deren Ideen auch deinen Alltag erleichtern. Schütte-Lihotzky erfand die weltweit erste seriell gefertigte Einbauküche. Ihr größtes Anliegen war dabei die größtmögliche Schritt- und Griffersparnis. Die so genannte Frankfurter Küche bedeutete eine Sternstunde der Funktionalität. Die Idee ging um die Welt. Im Museum für angewandte Kunst, kurz MAK, kannst du dir einen Nachbau dieser Küche ansehen. Du erfährst hier aber auch, dass Schütte-Lihotzky Zeit ihres Lebens nicht auf ihre Küche reduziert werden wollte. Denn sie war in jeder Hinsicht eine Pionierin. Als eine der ersten Architektinnen Österreichs ebenso wie im Bereich des sozialen Wohnbaus und sie war Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Kein Wunder, dass sie keine Küche sein wollte. Auch wenn sie damit Design-Geschichte schrieb.
Im Museum für angewandte Kunst dreht sich alles um gute Gestaltung, besondere Formensprache und das Wechselspiel zwischen Kunst und Handwerk. Das hat in Wien eine lange Tradition. Das Museum für angewandte Kunst war der erste Museumsbau an der Ringstraße. Eröffnet wurde es 1871. Einen der Höhepunkte des Museums bildet die Sammlung zur Wiener Werkstätte. Dieser Künstlervereinigung rund um Josef Hoffman und Koloman Moser ging es um die Weiterentwicklung des Kunstbegriffes. Die Wiener Werkstätte löste die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk auf. Produziert wurden Alltagsgegenstände, Möbel, aber auch Schmuck und Textilien von besonderer Schönheit. Damit schuf die Wiener Werkstätte zeitlose Klassiker, die heute noch begeistern. Sie ist nach wie vor weltweit ein Begriff. Das Museum für angewandte Kunst besitzt jedenfalls die größte museale Sammlung an Gegenständen, Möbeln und Textilien der Wiener Werkstätte. Und du kannst Im MAK auch Gustav Klimts Originalentwürfe für den berühmten Stoclet-Fries in Brüssel bewundern. Sehr sehenswert! Und ein perfektes Beispiel für die kreativen Höchstleistungen im Wien rund um 1900.
Weltberühmt ist auch Wiens Kaffeehauskultur – und unmittelbar damit verbunden eine echte Design-Ikone: der typische Kaffeehausstuhl mit der geschwungenen Rückenlehne aus Holz. Der Stuhl Nummer 14 ist das Aushängeschild der Firma Thonet. Die trieb eine Idee voran: Buchenholz wurde im großen Stil in alle möglichen Formen gebogen. Die Bugholzmöbel wurden schließlich zum Welterfolg, weil sie in ihre Einzelteile zerlegbar waren und deshalb kostengünstig transportiert werden konnten. Das Ergebnis: Bis zum Jahr 1930 verkaufte sich der Stuhl um die 50 Millionen Mal. Im MAK kannst du tief in die Welt von Thonet eintauchen.
Doch das Museum für angewandte Kunst ist auch ein Hotspot für zeitgenössisches Design und moderne Architektur. Und selbst Mode spielt eine Rolle. Erinnerst du dich an die 1990er Jahre? Damals sorgte der Wiener Modeschöpfer Helmut Lang weltweit für Furore. Seine minimalistischen, klaren Entwürfe trafen einen Nerv. Das Museum für angewandte Kunst besitzt das Helmut Lang Archiv und damit eine riesige Sammlung seines Schaffens. Dauerhaft ausgestellt sind etwa seine zu Ikonen gewordenen Herrenanzüge. Sie zeigen, dass auch er seiner Zeit voraus war.
3 Café Prückel
Was tut man in Wien, wenn man sich wie eine berühmte Literatin oder ein berühmter Literat fühlen will? Richtig, du setzt dich in ein Kaffeehaus. Denn das Ambiente und der Charme der Wiener Kaffeehäuser ist ganz besonders: Früher wie heute wird hier Zeitung gelesen, gearbeitet, philosophiert und politisiert oder einfach vor sich hingeträumt. In Gesellschaft oder allein. In Wien heißt es aber auch: Nirgendwo kann man besser in Gesellschaft alleine sein als im Kaffeehaus.
Das Cafe Prückel vor dir ist einer dieser magischen Orte, an denen die Zeit scheinbar stillsteht und gleichzeitig wie im Flug vergeht – während die Kaffeetassen klappern, die Kellner Wiener Schmäh zum Besten geben und das Papier der Zeitungen raschelt.
Das Prückel ist zwar ein absoluter Kaffeehausklassiker an der Ringstraße, aber trotzdem ein Unikum. Kurz nach 1900 eröffnet, wurde es in den 1950er-Jahren nämlich komplett umgestaltet. Sein berühmtes und bis heute liebevoll gepflegtes mid-century Design verdankt es dem Wiener Architekten Oswald Haerdtl. Dieser war neben seinen Bauwerken wie dem Wien Museum auch für das Design von Interieur und Alltagsgegenständen bekannt. Dabei legte er großes Augenmerk auf kleine Details, sodass vom Schirmständer bis zum Kleiderständer alles aus einem Guss ist. Ein absolutes Highlight der mid-century Architektur in Wien.
Das Prückel ist aber auch deshalb ein Ausreißer unter den Ringstraßen-Cafés, weil sich hier meistens mehr Einheimische als Touristen finden. Umgeben von Kunst- und Kulturschaffenden sowie Studierenden der umliegenden Universitäten kannst du hier regelmäßig Lesungen und Klavier-Live-Musik lauschen. Oder du lässt dich im Keller des Cafés von Theater- und Kabarettveranstaltungen unterhalten.
Übrigens: Dass nur wenige Meter vor dem Prückel ein Radweg verläuft, hätte den Gründer des Kaffeehauses sicherlich gefreut. Dabei handelt es sich nämlich um niemand geringeren als den ehemaligen Radrenn-Europameister Maxime Lurion.
4 Stadtpark
Atme ganz tief ein – und wieder aus. Herrlich! Weißt du, welche Aufgabe deine Lunge dabei übernimmt? Sie reinigt die Luft, die du atmest. Genau dasselbe tut der Stadtpark für Wien. „Grüne Lunge der Großstadt!“ – erkannte schon der einstige Wiener Bürgermeister Cajetan Felder im 19. Jahrhundert.
Im Wiener Stadtpark – dem größten Park entlang der Ringstraße – gibt es viel zu entdecken: Stehst du genau beim Wetterhäuschen in der Mitte des Parks? Wenn du jetzt in Fahrtrichtung der Ringstraße blickst, erkennst du den prachtvollen Kursalon. Die Gebrüder Strauss feierten dort einst ihre größten Erfolge; Musik und Lebensfreude erfüllen den Kursalon aber auch heute noch. Das exklusive Flair und der Blick über den grünen Stadtpark mit seinen vielen Denkmälern machen ihn zu einer beliebten Event-Location.
Eines dieser Denkmäler ist das meistfotografierte Denkmal Wiens. Es liegt zwischen deinem Standort und dem Kursalon und zeigt den Geige spielenden „Walzerkönig“ Johann Strauss Sohn. Dieser komponierte rund 170 Walzer – sage und schreibe 20 mehr als sein gleichnamiger Vater. Darunter den weltberühmten Donauwalzer.
Das vergoldete Denkmal kannst du nicht nur hier fotografieren. Kopien davon stehen im japanischen Osaka, im chinesischen Kunming, in Shanghai und im kubanischen Havanna. Strauss selbst ist nebenbei bemerkt noch in der Stadt: Er liegt in einer Ehrengräber-Gruppe auf dem sagenumwobenen Wiener Zentralfriedhof begraben.
Hinter dem Rücken des Johann-Strauss-Denkmals in einem tiefen Flussbett verläuft ein Teil des 34 Kilometer langen Wienflusses. Die Wien schlängelt sich vom Wienerwald durch Wiens Vororte und durch die Innenstadt, wo sie nahe der Ringstraße in den Donaukanal mündet. Ein Highlight ist ihre Verbauung – wenn du links vom Kursalon Richtung Wienfluss gehst, siehst du das im Jugendstil erbaute Wienflussportal mit seinen zwei Pavillons. Und direkt daneben begegnet uns ein alter Bekannter: Otto Wagner, der hier eine Station der Wiener Stadtbahn errichtete. Die meisten seiner Bauwerke erkennst du an dem speziellen Grünton, der sogar als Otto-Wagner-Grün bezeichnet wird.
Wenn man sich hier so umsieht, kann einen die Schönheit der Welt durchaus ergreifen. Da geht es nicht nur dir so. Wenn du in Richtung Ringstraße blickst, dann siehst du über den Baumgipfeln die Gebäudespitze eines Hotels. Hier, im Vienna Marriott Hotel, hat der „King of Pop“ im Juni 1988 sein monumentalstes Werk, den "Earth Song" geschrieben. Die Rede ist von Michael Jackson. Der Legende nach hat ihn die Opulenz der Ringstraße dermaßen überwältigt, dass er zu grübeln begann. Was ihn beschäftigte? Die Auswirkungen des menschlichen Verhaltens auf den Planeten. Jackson griff zur Feder und verarbeitete seine Gedanken musikalisch. Du merkst, die Ringstraße weiß in jeder Hinsicht zu inspirieren.
Inspiration findest du auch in Wiens wichtigstem Premierenkino, dem Gartenbaukino, das direkt neben dem Marriott für besondere cineastische Erlebnisse sorgt. Anlässlich der Eröffnung des Kinos war sogar Kirk Douglas zu Gast. Am Spielplan stand damals „Spartacus“. Heute ist das Gartenbaukino der wichtigste Spielort der Viennale – Österreichs größtes internationales Filmfestival. Ein toller Ort – nicht nur für Cineasten, sondern auch für Fans der guten Gestaltung. Das in liebevoller Detailarbeit revitalisierte Mid-Century-Design des Kinos ist ein wahrer Blickfang.
5 Palais Erzherzog Ludwig Viktor
Zufälle gibt’s. Dort, wo der einzige offen schwule Habsburger sein prachtvolles Palais errichten hat lassen, zog 1996 die erste Regenbogenparade vorbei. Die Rede ist von Erzherzog Ludwig Viktor, dem jüngsten Bruder Kaiser Franz Josephs. Die Regenbogenparade ist Österreichs größte Demonstration für Gleichstellung und Rechte von LGBT, die jeden Juni über die Ringstraße zieht.
Ludwig Viktor, Luziwuzi genannt, war schwul und das Enfant terrible der Wiener Society. Fürstin Nora Fugger schrieb in ihren Memoiren: „Seine Zunge war scharf wie die einer Giftschlange.“ Und Luziwuzis Schwägerin Sisi echauffierte sich: „Er hat so viel getratscht und gelogen, dass er mir wirklich mein Leben verdorben hat. Über jeden schimpft er und auch über mich.“ Doch er war der Bruder des Kaisers und hatte Narrenfreiheit. 1863 ließ er von Heinrich von Ferstel das nach ihm benannte Palais an der Ecke Ringstraße und Schwarzenbergplatz errichten. Es war eines der elegantesten Häuser Wiens. Ballsaal und Wintergarten inklusive.
Was jedoch fehlte, war ein Schwimmbad. Daher vergnügte sich Luziwuzi im Centralbad, einer öffentlichen Badeanstalt. Dort soll er einen Gast unsittlich berührt und dafür eine Watsche kassiert haben. Du weißt nicht, was eine Watsche ist? – Das ist die Wiener Variante einer Ohrfeige. Die Badeanstalt gibt es heute noch und heißt Kaiserbründl. Berührungen zwischen Männern stören dort niemanden mehr – Wien ist heute eine der LGBT-freundlichsten Städte Europas und das Kaiserbründl Wiens bekannteste Schwulensauna unweit der Ringstraße.
Luziwuzi allerdings wurde nach diesem Skandal ins Salzburger Schloss Klessheim geschickt. Dort lud er Offiziere zum Baden ein – jedoch ohne ihnen Badehosen zur Verfügung zu stellen. Die Skandale fanden kein Ende.
In seinem Wiener Palais ist heute eine Bühne des Burgtheaters, das Kasino am Schwarzenbergplatz, untergebracht. Irgendwie passend, suchte auch Ludwig Viktor gerne die große Bühne. Auch wenn Luziwuzi damals für Aufsehen sorgte, war er doch in der glücklichen Position, seine Homosexualität ausleben zu können und trotzdem in einem Nahverhältnis zum erzkonservativen Kaiser Franz Joseph zu stehen.
Und jetzt noch zu etwas ganz anderem. Ist dir aufgefallen, dass die Ringstraße gar nicht kreisrund ist? Sie besteht nämlich aus vielen Geraden mit etlichen Knicken. Dahinter steckten militärstrategische Überlegungen. Denn etwaige Aufstände hätten so besser in Schach gehalten werden können. Dem Adel saß nämlich das Revolutionsjahr 1848 noch tief im Nacken. Aber keine Sorge, all das ist Theorie geblieben. In der langen Historie der Ringstraße sind große Revolten ausgeblieben.
6 Albertina Modern
Nein, es kommt nicht auf die Größe an. Denn in der Wiener Ringstraßenzone ist selbst das kleinste Gebäude ein opulenter Hingucker. Das prachtvolle Künstlerhaus, vor dem du stehst, zählt seit dem Bau der Ringstraße zu den wichtigsten Ausstellungshäusern Wiens. Hier erlebst du jede Menge Vielfalt im Zeichen besonderer Kunst. Das Gebäude wird sogar von zwei Kunstinstitutionen bespielt. Aber alles der Reihe nach.
Im Erdgeschoß und im Tiefgeschoß findest du mit der Albertina modern einen der neuesten Kunstschauplätze Wiens. Diese Dependance der weltberühmten Albertina steht ganz im Zeichen moderner, postmoderner und zeitgenössischer Kunst. Der chinesische Superstar Ai Weiwei hat hier bereits ausgestellt. Aber auch packende österreichische Kunst des 20. Jahrhunderts ist immer wieder Thema, denn die Albertina modern ist die museale Heimat der Sammlung Essl – die wichtigste Sammlung österreichischer Nachkriegskunst. Hier geht es ganz schön zur Sache: Aufwühlendes wie die blutigen Schüttbilder von Hermann Nitsch waren hier schon zu sehen, aber auch der gesellschaftskritische Hyperrealismus von Gottfried Helnwein und die Werke von Maria Lassnig. Es geht um Kunst, die klare Positionen bezieht und niemanden kalt lässt. Bestimmt auch dich nicht. Für mächtig viel Eindruck sorgt genauso die Innenarchitektur des Hauses. Vor allem das Treppenhaus, das exakt so aussieht wie zur Zeit des Ringstraßenbaus! Geh rein, und lass dich von diesem Prunk überwältigen.
Wenn du die Treppe hinaufgehst, triffst du auf die Ausstellungsräume der Künstlerhaus-Vereinigung. Sie existiert bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts und initiierte damals den Bau des Künstlerhauses. Ihr Ziel? Das Kulturleben Österreichs wesentlich mitzugestalten und zu bereichern, was ihr ohne Zweifel gelungen ist. Das Künstlerhaus war übrigens das erste von Künstlern über eine frühe Form des Crowdfundings selbst finanzierte Vereinsgebäude im deutschsprachigen Raum. Doch der Künstlerhaus-Vereinigung geht es keineswegs darum die Vergangenheit zu feiern. Die Ausstellungen thematisieren Zeitgenössisches und gesellschaftlich Relevantes. Und das Künstlerhaus ist genauso ein Ort für Cineasten. Es beherbergt das Stadtkino, eines der ältesten Programmkinos Wiens.
7 Staatsoper
„Versunkene Kiste!“, spottete einst Kaiser Franz Joseph. Welches Gebäude er damit meinte? Nun, du stehst genau davor: die Wiener Staatsoper. Es war ein Kommentar mit Folgen: Die beiden Architekten erlebten die Eröffnung ihres Gebäudes leider nicht mehr.
Die Geschichte hat sich folgendermaßen zugetragen: Während die Fertigstellung des Gebäudes in vollem Gange war, wurde das Niveau der Ringstraßen-Fahrbahn nachträglich um einen Meter angehoben – damit tat man der Oper keinen Gefallen – diese schien nun nämlich im Boden zu versinken. Der Niveauunterschied führte zu einem regelrechten Eklat.
Die Architekten Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg wurden zum Gespött der Stadt. Dabei war eine Fehlplanung des Hofbauamtes schuld. Noch dazu kam, dass ihre Vorstellung der Neorenaissance von den Wienerinnen und Wienern als Stilmischmasch bezeichnet und heftig kritisiert wurde. Als Kaiser Franz Joseph die Oper dann als „versunkene Kiste“ bezeichnete, spitzte sich die Lage so dramatisch zu, dass van der Nüll sich das Leben nahm. Wenige Wochen später erlag von Sicardsburg einem Lungenleiden. Beide Architekten starben somit noch vor der Eröffnung. Eine tragische Geschichte, die auch dem Kaiser nahe ging. Hast du schon mal seinen legendären Spruch „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ gehört? Man erzählt sich, dass die Tragödie um die beiden Architekten die Geburtsstunde der höflichen Floskel war, die als Code für Unverbindlichkeit und Gleichgültigkeit zu verstehen war.
Die allgemeine Meinung zur Wiener Staatsoper schlug danach blitzschnell in Begeisterung um, schließlich war sie von großer kultureller Bedeutung für Wien. Als sie dem zweiten Weltkrieg größtenteils zum Opfer fiel, war deshalb schnell klar: Das Opernhaus soll wieder aufgebaut werden! Gesagt, getan – 1955 öffnete die Staatsoper zu Beethovens „Fidelio“ erneut ihre Pforten. Und das schlug Wellen. In der ganzen Welt wurde die Wiedereröffnung als Zeichen der neuerstandenen 2. Republik verstanden.
Heute wird die Staatsoper von den Wienerinnen und Wienern stolz als „das erste Haus am Ring“ bezeichnet. Ihre prunkvollen Gänge haben schon Gustav Mahler, Herbert von Karajan, Agnes Baltsa, Franz Welser-Möst oder Pamela Anderson beschritten. Doch, doch – du hast richtig gehört. Neben zahlreichen anderen Weltstars feierten Pamela Anderson, Grace Jones oder Sophia Loren als Gäste eines bekannten Wiener Baumeisters den Wiener Opernball. Gemeinsam mit Wiens High Society – und allen, die sich selbst gern dazuzählen.
Aber nicht nur halb Hollywood kam zur Oper, auch umgekehrt: Die Wiener Staatsoper schaffte es als spektakuläre Filmkulisse auf die große Leinwand. Ihren Hollywood-Auftritt hatte sie an der Seite von Tom Cruise im fünften Teil der Filmreihe Mission: Impossible.
8 Heidi Horten Collection
Wo man heute erstaunte „Wows!“ hört, da wieherten früher Pferde. Ja genau, in Erzherzog Albrechts ehemaliger Reitschule. Du befindest dich im Hanuschhof, einer dieser Orte entlang der Ringstraße, der auf eine abwechslungsreiche Geschichte zurückblickt.
Heute findest du hier einen modernen Museumstempel: die Heidi Horten Collection. Von 2020 bis 2022 wurde das Stöcklgebäude im großen Innenhof aufwändig renoviert. Die historische Fassade wurde saniert und begrünt. Das Innere des Gebäudes komplett ausgehöhlt und versetzte, vermeintlich schwebende Ausstellungsebenen eingezogen. Genial! Außerdem gibt´s eine angeschlossene Terrasse und einen begrünten Skulpturengarten, der für alle frei zugänglich ist.
Diesen modernen Museums-Hotspot verdanken wir der Milliardärin Heidi Goëss-Horten. Die passionierte Kunstsammlerin zeigte ihre Werke bereits 2018 im Leopold Museum im Rahmen der Ausstellung „Wow!“. Damals ein echter Publikumsmagnet! Jetzt gibt´s ein ganzes Museum und zwar in bester Lage: zwischen Wiener Staatsoper, Albertina und Burggarten. Auf drei Ebenen erwarten dich fast 1.500 m2 Ausstellungsfläche.
Die Sammlung, die Goëss-Horten seit den frühen 1990er zusammengetragen hat, umfasst mehrere hundert Werke und ist eine der hochkarätigsten Privatsammlungen Europas. Ein faszinierender Querschnitt der internationalen Kunstgeschichte mit Vertretern unter anderem aus Moderne, Neoexpressionismus und Pop-Art: Gustav Klimt, Egon Schiele, Marc Chagall, Pablo Picasso, Andy Warhol, Georg Baselitz und viele mehr. Kurzum: Ein geballtes Best-of.
Zum Schluss habe ich noch ein besonderes Schmankerl für dich. Du hast sicherlich die zahlreichen Würstelstände entlang der Ringstraße entdeckt. Einer der bekanntesten liegt gleich neben dem Hanuschhof: Der Bitzinger. Der serviert sogar Champagner zu den Würsten. Die sind so etwas wie die Wiener Variante von Fast Food. Wobei, für Käsekrainer und Co. nimmt man sich in Wien gerne Zeit. Denn Genuss ist den Wienerinnen und Wienern heilig.
9 Burggarten
Wetten, du kommst nie darauf, wer sich an diesem Ort vor rund 200 Jahren als Gärtner betätigte. Es war Kaiser Franz I. höchstpersönlich. Der war nämlich ausgebildeter Gärtner. Kaum zu glauben, nicht? Damals befand sich hier der kaiserliche Privatgarten. Der heutige Burggarten hat jedoch wenig mit der Anlage von damals gemeinsam. Und schon gar nicht war der Garten für die Öffentlichkeit zugänglich. Hier spazierten Mitglieder des Hofes, während der Kaiser sich an seinem grünen Daumen erfreute. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Parkanlage für die Allgemeinheit geöffnet. Und heute steht sie sogar für Pferde offen. Zumindest für die berühmten Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule. Die drehen hier oft ihre Morgenrunden. Du hast sicherlich auch die vier Koppeln entlang der Goethegasse entdeckt. Die sind errichtet worden, damit die edlen Rösser hier Luft schnappen und sich erholen können.
Im Burggarten ziehen aber auch ganz andere Tiere ihre Kreise. Genauer gesagt im riesigen historischen Palmenhaus. Im linken Flügel des Glashauses befindet sich nämlich das Schmetterlinghaus. Wirf doch mal einen Blick durch die Scheiben – kannst du den tropischen Dschungel erahnen? Darin flattern über 50 Schmetterlingsarten. Ein bisschen wie im Märchen.
Idylle herrschte hier aber nicht immer. Denn Ende der 1970er ging es im Burggarten hoch her. Damals war es nämlich verboten, die Rasenflächen des Parks zu betreten. Das ließ sich die Wiener Jugend nicht gefallen und widersetzte sich dem Verbot. Die Forderung lautete: „Rasenfreiheit!“ Das konservative Wien war angesichts der aufmüpfigen „Hippies & Freaks“, wie es damals hieß, empört. Das mag heute absurd klingen – es war aber der Beginn einer Wiener Jugendbewegung. Es kam zu Demos Festnahmen, Strafen und Besetzungen. Ein Boulevardblatt schrieb in maßloser Übertreibung von „öffentlichem Rauschgiftkonsum, Entenmord und Sexorgien.“ Sogar die deutsche Punk-Ikone Nina Hagen zeigte sich 1979 solidarisch und besuchte die Protestierenden. Die Jugend ließ sich nicht einschüchtern. – Mit dem Ergebnis, dass du dich heute auf den Rasenflächen austoben darfst. Rauschgift, Entenmord und Sexorgien sind aber weiterhin verboten …
10 Maria-Theresien-Denkmal
Was haben Maria Theresia, Österreichs berühmteste Nackte und die größte Bruegel- Sammlung gemeinsam? Nun, ihnen kannst du hier begegnen. Wo soll ich anfangen? – Dieser Ort hier erzählt tausend Geschichten.
Wenn du der belebten Ringstraße den Rücken zukehrst, erhebt sich links von dir ein Prachtbau im Stilempfinden der italienischen Renaissance. Und rechts, genau gegenüber – da steht das gleiche Gebäude nochmal. Nun ja, fast. Die Zwillingsgebäude unterscheiden sich vor allem im Inneren. Kunsthistorisches Museum auf der linken, Naturhistorisches Museum auf der rechten Seite. Und dazwischen? Großzügiger Raum, bewusst eingesetzt, damit die Architektur der beiden Monumentalbauten ihre volle Wirkung entfalten kann.
Weißt du, wer da so prominent in der Mitte des Platzes über uns thront? So mancher Taferlklassler hat sie schon verflucht, schließlich haben wir ihr die Einführung der Schulpflicht zu verdanken. Maria Theresia! Ihr Denkmal ist das wichtigste Denkmal, das in Wien an die Habsburgermonarchie erinnert.
Die Symmetrie des Platzes und der zwei Gebäude ließ die Herzen des Ästheten und Filmemacher Wes Anderson und seiner Partnerin, der Autorin und Designerin Juman Malouf bestimmt höherschlagen, als sie vor einigen Jahren ihre persönlichen Lieblingsobjekte des Kunsthistorischen Museums zu einer eigenen Schau zusammenstellten. Zu den prominenten Fans des Museums gehört auch die Modeschöpferin Vivienne Westwood, die hier bereits ihre Kreationen präsentierte.
Wer über die Schwelle des Kunsthistorischen Museums, kurz KHM, tritt, wird von einer Imposanz sondergleichen empfangen. Eine prachtvolle Kuppelhalle, üppiger Dekor, edler Marmorboden. Und mittendrin? Kunst, Kunst, Kunst! In den prunkvollen Sälen warten die Bauernhochzeit oder der Turmbau zu Babel als Teil der bedeutendsten Bruegel-Sammlung auf dich. Außerdem besitzt das KHM Meisterwerke von Raffael, Rembrandt oder Vermeer. Und daneben wertvolle Goldschätze und Gegenstände wie die goldene "Saliera" von Cellini.
Im gegenüberliegenden Zwilling, dem Naturhistorischen Museum, kurz NHM, erwarten dich ganz andere Wunder. Etwa die berühmteste Nackte, die bei archäologischen Ausgrabungen in Österreich je ans Tageslicht befördert wurde: die rund 30.000 Jahre alte Venus von Willendorf. Und riesige Dinosaurierskelette – oder, und das ist fast schon eine Ironie, eine der weltweit größten Sammlungen jener kosmischen Geschoße, die den Sauriern zum Verhängnis wurden: Meteoriten.
Hach, ich sag’s dir, an Orten wie diesen könnte ich Tage verbringen. Du auch? Dann merk dir die Gegend gut – nirgends ist die Museumsdichte so hoch, wie hier. Wenn du nämlich geradeaus schaust, die Ringstraße im Rücken, dann siehst du vor dir die Front eines langgezogenen, sandfarbenen Gebäudes. Das ist das MuseumsQuartier Wien mit dem Leopold Museum, dem Museum moderner Kunst, dem Architekturzentrum Wien, der Kunsthalle und weiteren Museen. Das MQ, wie die Wienerinnen und Wiener es nennen, hat sich zu einem beliebten Open-Air-Treffpunkt für Studierende und Kreative entwickelt.
11 Parlament
Das politische Herz der Republik schlägt im prachtvollen, frisch renovierten Parlamentsgebäude. Hier kannst du wie die Mitglieder des National- und Bundesrats ein- und ausspazieren – denn das Bollwerk der österreichischen Demokratie ist ein offener Ort für alle. Von 2018 bis 2022 wurde das Gebäude von Grund auf saniert und ausgebaut. Neu geschaffen wurden ein Besucherzentrum und eine verglaste Galerie. Von hier aus gibt´s tolle Einblicke in den Plenarsaal. Spektakuläre Ausblicke genießt du, wenn du nach oben zur frei zugänglichen Terrassenlandschaft mit Gastronomieangebot fährst.
Begonnen hat hier alles einst, in den 1870er Jahren, mit Theophil Hansen. In Anspielung auf die klassische griechische Demokratie wählte er den hellenistischen Stil. Dem Namen des damaligen Stararchitekten begegnest du in Wien immer wieder. Den Bau des heutigen Parlaments soll er aber als sein Lebenswerk bezeichnet haben. Schon von außen siehst du, warum. Vor dem Gebäude thront Pallas Athene, die griechische Göttin der Weisheit. Umgeben ist die 4 Meter hohe Statue von einem monumentalen Brunnen. Auch die griechisch anmutenden Säulen dahinter machen das Parlament unverwechselbar. Es lohnt sich auch, einen Blick auf die vielen Statuen und Plastiken vor und am Gebäude zu werfen. Erkennst du sie alle – an der Rampe und am Dach?
Du siehst schon, das Parlament ist ganz schön beeindruckend. Das muss sich übrigens auch Bob Dylan gedacht haben. Denn eine der Figuren aus dem Pallas-Athene-Brunnen blickt uns von einem Plattencover des Singer-Songwriters entgegen – und zwar vom Album „Tempest“, was Unwetter bedeutet. Apropos Unwetter. Zu Kaisers Zeiten, als der Reichstag hier tagte, hat‘s öfter mal richtig gedonnert. Damals wurde nicht nur heftig debattiert, es kam sogar zu Schlägereien und Schüssen! Vorboten des langsam zerfallenden Habsburgerreiches. Dieses bizarre Treiben sprach sich herum. Sogar Mark Twain, der Ende des 19. Jahrhunderts knapp 2 Jahre in Wien lebte, überzeugte sich persönlich und verarbeitete die turbulenten Sitzungen in zwei Texten. Eines ist sicher: Das Parlamentsgebäude hat spannende Zeiten hinter, und bestimmt auch noch vor sich.
12 Rathaus
Von wegen Amtsschimmel! Der wiehert hier im Wiener Rathaus bestimmt nicht. Du blickst auf ein Gebäude, das sich als Ort großer Offenheit versteht – und als Ort des Feierns, über den alle Wienerinnen und Wiener eine Geschichte erzählen können. Denn im Wiener Rathaus wird nicht nur verwaltet und regiert. Hier tobt ganzjährig das pralle Leben! Im Rahmen von Bällen und Festen wird getanzt. Das Rathaus ist genauso eine Location für Konzerte, Galas und Veranstaltungen aller Art. Mit dem riesigen Festsaal, dem spektakulären Arkadenhof und dem ausladenden Platz vor dem Rathaus ist dieser Ort eine geradezu prädestinierte Location. Wäre doch schade, diese nicht zu nutzen. Das Wiener Rathaus war übrigens auch viele Jahre lang der Schauplatz des Life Balls mit Prominenz aus aller Welt.
Auch der Rathausplatz überrascht mit seiner Vielseitigkeit: Er war Zentrum der Fan-Meile während der Fußball-Europameisterschaft 2008. Die LGBT-Community feiert bei der Vienna Pride hier ebenso. Im Sommer warten Kino- und Konzertfilm-Vorführungen. Und im Winter wird dir hier beim Wiener Weihnachstraum und beim Eistraum so richtig warm ums Herz. Und über dem Platz, da wacht jemand ganz Besonderer. Schau mal da oben – auf der Spitze des Rathaus-Turms. Das steht der sogenannte Rathausmann. Mit Hilfe dieser 5,4 Meter hohen Figur umging die Wiener Stadtpolitik eine Anordnung von Kaiser Franz Joseph. Diese schrieb vor, dass der Turm des Rathauses niedriger zu sein hatte als die nahegelegene 99 Meter hohe, dem Kaiser gewidmete Votivkirche. Genau genommen verstößt der Rathausturm mit einer Höhe von 98 Metern nicht gegen diese Vorschrift – schließlich war ja nur von der Höhe des Turms die Rede. Ganz schön clever. Der große Mann hat übrigens Schuhgröße 63.
Mit dem neugotischen Bauwerk wollte der Architekt Friedrich von Schmidt an dem mittelalterlichen Konzept städtischer Freiheit anknüpfen und das starke städtische Selbstbewusstsein Wiens nach außen tragen. Operation geglückt.
Wenn du ein paar Schritte um das Rathaus schlendern möchtest, solltest du unbedingt zu einem der Seiteneingänge spazieren. Durch diese kann nämlich absolut jede und jeder durch das Rathaus gehen. Zum Beispiel in den Arkadenhof, der wirklich einen Blick wert ist. Und bevor wir unsere Tour entlang des Prachtboulevards fortführen, solltest du noch einen Blick auf das Gebäude vis-à-vis des Rathauses werfen. Hier wartet nämlich großes Theater auf dich. Das Burgtheater ist die wichtigste und größte Theaterbühne im deutschsprachigen Raum, die mit ihren Stücken stets zu polarisieren wusste.
13 Universität Wien
Da wo du jetzt stehst, da standen auch schon die Nobelpreisträger Erwin Schrödinger und Elfriede Jelinek. Denn beide haben an der Universität Wien studiert. Die Universität Wien ist nicht nur die größte Hochschule im deutschsprachigen Raum, sondern gleichzeitig auch die älteste. Immerhin wurde die Uni bereits im Mittelalter, genauer gesagt 1365 an anderer Stelle gegründet. Heute stillen hier knapp 100.000 Studierende ihren Wissensdurst. Sie kommen aus aller Welt, beleben die Kaffeehäuser und Parks der Stadt und machen Wien zu einer Stadt der internationalen Begegnung.
Das Hauptgebäude wurde 1884 nach einem Entwurf von Heinrich von Ferstel fertiggestellt. Für den großen Festsaal sah der Architekt Deckengemälde vor. – Und damit nahm einer der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts seinen Lauf: Den Auftrag erhielten zwei prominente Künstler: Franz Matsch und Gustav Klimt. Erste Entwürfe für das zentrale Gemälde von Matsch wurden vorgelegt und fanden Anklang – auch Klimt präsentierte einen Entwurf. Allerdings nur für eines von insgesamt drei beauftragen Bildern. Die beiden Maler arbeiteten mehrere Jahre an den Werken – Jahre, in denen sich Klimts Stil drastisch änderte.
Als er seine drei Bilder vorlegte, sorgte deren Inhalt für einen riesigen Eklat. Klimts pessimistische und kritische Perspektive auf die Wissenschaft stieß auf Empörung. Denn statt wie üblich zu idealisieren, zeigten seine Bilder die ungeschönte Wahrheit wie Krankheit und Armut. Es folgten heftige Streitigkeiten – mit dem Ergebnis, dass die Bilder ihren Weg in den Festsaal nicht fanden. Klimt kaufte die Bilder zurück. Danach nahm Klimt nie wieder einen öffentlichen Auftrag an. Stattdessen widmete er sich Portraits und Landschaftsbildern, die heute weltberühmt sind. Zuerst konfisziert und arisiert, fielen die Fakultätsbilder 1945 schließlich auf Schloss Immendorf einem von den Nazis gelegten Brand zum Opfer. Heute sind an der Decke des Saales Reproduktionen der Bilder zu sehen.
Komm, ich zeig dir noch den Arkadenhof der Universität. Dieser ist frei zugänglich – du kannst ganz einfach durch das Haupttor reinspazieren, geradeaus durch die Aula – et voilà. Neben grünen Bäumen und zahlreichen Bänken findest du dort auch unzählige Denkmäler namhafter Persönlichkeiten, darunter Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse, und den berühmten Pathologen Carl von Rokitansky. Auch die Leistungen von Frauen in der Wissenschaft werden hier gewürdigt. Erst 2016 wurden sieben neue Denkmäler zu ihren Ehren aufgestellt, darunter jene für die Sozialpsychologin Marie Jahoda, die Kernphysikerin Lise Meitner und die Begründerin der Entwicklungspsychologie Charlotte Bühler.
14 Votivkirche
So ein Herrscher eines Vielvölkerstaates hatte es nicht immer leicht. Das bekam Kaiser Franz Joseph am eigenen Leib zu spüren. Denn die Entstehung der Votivkirche ist mit einem dramatischen Ereignis verknüpft: Als junger Mann wurde der Kaiser Opfer eines Attentats. Doch er hatte Glück. Er überlebte die Messerattacke – und aus Dankbarkeit wurde ein Zeichen gesetzt, das in Form der Votivkirche fast 100 Meter in den Himmel ragt. Sie ist die einzige Kirche, die im Zuge des Ringstraßenbaus errichtet wurde. Und sie gilt als eine der bedeutendsten neogotischen Kirchen weltweit.
Viele Besucherinnen und Besucher Wiens verwechseln die Votivkirche übrigens gerne mit dem Stephansdom. In beiden Fällen gilt: schön von außen, schön von innen. In der Votivkirche findest du sogar ein kleines Museum mit kunsthistorischen Schätzen, wie den über 500 Jahre alten Antwerpener Altar. Ein Meisterwerk seiner Zeit. Das Museum solltest du allein schon deshalb besuchen, weil es sich hoch oben im Oratorium der Kirche befindet. Von dort kannst du den spektakulären Kirchenraum überblicken. Das solltest du dir nicht entgehen lassen. Wie so viele Gebäude entlang des Rings stammt auch die Votivkirche von Heinrich von Ferstel. Und der war zum Zeitpunkt der Planung lediglich 26 Jahre alt. Ein Mann mit bemerkenswerten Talenten.
Apropos: Wenn du dich jetzt umdrehst und auf die Parkanlage zwischen dem Ring und der Votivkirche blickst, begegnet dir ein ganz anderer großer Denker aus Wien. Sigmund Freud. Der Park trägt seinen Namen. Das ist kein Zufall. Nur ein paar Straßen weiter findest du die berühmte Adresse Berggasse 19. Es ist der Geburtsort der Psychoanalyse. Denn dort hatte Freud seine Praxis, wo er tief in den Abgründen der menschlichen Seele schürfte. Ganze 47 Jahre lang lebte der Meister der Psychoanalyse hier. Heute befindet sich an dieser Adresse ein sehr sehenswertes Museum, das dem Leben und Schaffen Freuds gewidmet ist. Auch die Privaträume der Familie Freud und die Praxis von Anna Freud kannst du dort besichtigen. Ein Abstecher, der sich lohnt – und ein wunderbarer Ort, um diesen Stadtspaziergang zu beenden.